Interview – Autorin Paula Tuschling

20.04.2022

Interview – Autorin Paula Tuschling

Interview_Tuschling

Wir haben uns mit unserer Autorin Paula Tuschling über ihre neue Publikation „Antisemitimsus in der AfD“ unterhalten

In Ihrer Arbeit „Antisemitismus in der AfD“ gehen Sie der Frage nach, wie sich Antisemitismus in einer rechtspopulistischen Partei manifestiert. Lässt sich anhand von Beispielen erklären, wie sich Antisemitismus in der AfD manifestiert?

Die AfD vertritt als Gesamtpartei in ihrer programmatischen Ausrichtung erstmal keinen offenen Antisemitismus, allerdings fällt die Partei seit ihrer Gründung immer wieder durch die antisemitischen Äußerungen vieler AfD-Politiker:innen auf. Antisemitismus lässt sich auch in anderen Parteien beobachten, in der AfD tritt er aber in überdurchschnittlicher Häufigkeit und Kontinuität auf.

Wie äußert sich der Antisemitismus in der Rhetorik der AfD?

Meist werden zunächst geschichtsrevisionistischen Forderungen artikuliert, die eine Schlussstrichmentalität sowie eine Erinnerungs- und Schuldabwehr in Bezug auf die NS-Zeit propagieren und damit dem Post-Holocaust Antisemitismus entsprechen. Diese sekundäre Form des Antisemitismus, die eine ablehnende Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden „nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ (Broder 1986) umfasst, kommt innerhalb der AfD und ihrer Wählerschaft am häufigsten zum Ausdruck.

Viele rechtspopulistische Parteien in Europa inszenieren eine positive Bezugnahme auf Israel. Lässt sich dies auch innerhalb der AfD beobachten?

Einige AfD-Politiker:innen zeigen sich solidarisch mit Israel, verklären den Staat als „Bollwerk gegen den Islamismus“ und befürworten die Gründung der Gruppe „Juden in der AfD“. Diese Haltung wird allerdings nicht von allen in der AfD geteilt und spiegelt das ambivalente Bild der Partei wider. Gleichzeitig bemüht sich die AfD aber geschlossen den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu marginalisieren und in schuldabwehrender Zuschreibung an andere Gruppen zu externalisieren. So werden durch das Zusammenspiel letztlich nicht nur Jüdinnen und Juden oder der Staat Israel, sondern auch der Antisemitismus selbst von einigen AfD-Politiker:innen instrumentalisiert, um die eigenen antimuslimischen und rassistischen Positionen zu legitimieren.

In welchem Verhältnis steht der Rechtspopulismus der AfD zum Antisemitismus?

Der Antisemitismus manifestiert sich gewissermaßen im Rechtspopulismus selbst, der bei der AfD u.a. eine weitere ideologische Ausgestaltung durch den völkischen Nationalismus erfährt. Die AfD bedient durch ihre populistische Inszenierung als einzige Partei, die die „wahren Interessen des Volkes“ gegen „das Establishment“ vertreten kann, zwei antisemitische Argumentationsmuster, die bereits seit dem religiös motivierten Antijudaismus bekannt sind: Auf der vertikalen Dimension werden „die da oben“ („die korrupte politische Elite“) und „wir hier unten“ („das einfache gute Volk“) als homogene Gruppen einander gegenübergestellt. Auf der horizontalen Dimension treten in einer Differenzkonstruktion „wir hier drinnen“ („die deutsche Volksgemeinschaft“), gegen „die da draußen“ („das Fremde“) in Erscheinung. Die dichotome Einteilung in homogene Kollektive ermöglicht eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Opfern und Tätern und eine Schuldprojektion auf das konstruierte Feindbild.

Zieht die AfD letztlich auch Personen an, die bereits antisemitische Einstellungen teilen?

Die AfD bietet mit ihren geschichtsrevisionistischen und verschwörungsideologischen Äußerungen, definitiv viele Identifikationsangebote für Personen mit einem antisemitischen Weltbild, die dementsprechend im Vergleich zu anderen Parteien auch überdurchschnittlich in der AfD vertreten sind. Während ein Großteil der AfD eher subtile antisemitische Einstellungen teilt, ist ein deutlich kleinerer Teil der AfD in ideologisch festgelegter Überzeugung rechtsextrem und antisemitisch. Ein Beispiel dafür ist, der in meinem Buch detailliert untersuchte Fall des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der sein antisemitisch antizionistisches, verschwörungsideologisches und völkisch-rassistisches Weltbild in aller Offenheit wie Eindeutigkeit artikuliert.

Sie bringen Antisemitismus und Verschwörungsideologien in Zusammenhang. Können Sie die Verbindung der beiden darstellen?

Die Grundlage von vielfältigen Varianten von Verschwörungsideologien ist (und war) immer wieder die Konstruktion eines allmächtigen Feindes. Die Urform des Verschwörungsmythos ist der Glaube, dass eine als homogenes kollektiv stilisierte Gruppe schuld sei an allen (sozialen) Missständen. Der Antisemitismus wiederum projiziert jegliche Schuld auf das konstruierte Feindbild „des Juden“ und bezieht sich dabei auf Verschwörungsmythen, die durch ihre Unnachweisbarkeit als Beweis für die Behauptung von „Tatsachen“ dienen und so die antisemitischen Denkstrukturen rechtfertigen können. Somit beruht der Antisemitismus selbst auf dem Verschwörungsgedanken.

Bei der AfD schwingen bei den antimuslimischen Parolen unterschwellig immer auch antisemitische Ressentiments und verschwörungsideologische Gedanken mit. Innerhalb der Agitation einer imaginierten „Überfremdung“ des eigenen „Volkes“ durch „die Muslime“ — die von der Pegida-Bewegung formuliert und von der AfD aufgegriffen wurde — steht zum Beispiel das antisemitische Ressentiment einer „jüdischen Weltverschwörung“. Der Verschwörungsmythos besagt hier, dass die nach Europa migrierenden Muslim:innen Opfer eines jüdischen Plans wären, dessen Ziel die Destabilisierung der Nationalstaaten und Errichtung einer „Neuen Weltordnung“ sei.

Was ist die Zielsetzung Ihres Werkes im Hinblick auf die Zielgruppe?

Die Publikation möchte einerseits Wissen darüber vermitteln, wie und in welcher Form Antisemitismus von rechtspopulistischen Akteuren geäußert wird. Es zeigt sich, dass der Antisemitismus wandelbar und anpassungsfähig und damit oft schwer zu greifen ist. Denkmuster und Argumentationsstränge enthalten bei vielen AfD-Politiker:innen beispielsweise häufig keine explizite Nennung von Jüdinnen und Juden. Um Antisemitismus erkennen und im Alltag oder in den sozialen Medien entgegen treten zu können, ist es wichtig die historische Kontinuität des Antisemitismus zu verstehen und die unterschiedlichen Erscheinungsformen mitsamt der antisemitischen Stereotype, Ressentiments und Codes zu kennen. Die Publikation liefert Leser:innen eine umfangreiche theoretische Grundlage, was Antisemitismus ist, wie er sich äußern kann und veranschaulicht dies praktisch an dem konkreten Fallbeispiel des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon.

Bislang gibt es in der Antisemitismus- und Parteienforschung keine umfassende systematische Analyse zum Antisemitismus in der AfD. Meine Arbeit zeichnet zentrale (ideologische) Verbindungslinien zu einer Vielzahl an antisemitischen, völkischen und neurechten Äußerungen von AfD-Politiker:innen, die systematisch zusammengeführt werden. Sie veranschaulicht theoretisch und exemplarisch die Zusammenhänge zwischen Rechtspopulismus und Antisemitismus anhand der politischen Rhetorik der AfD und bietet so eine interessante Ausgangslage für weitere Forschungsvorhaben.

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